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Donnerstag, 13. Juli 2017

[ #Demokratie ] Der Mythos von der Partei der Nichtwähler

[FreeBook] Die Nichtwähler zu summieren und aus ihnen eine eigen Partei der Nichtwähler zu kreieren, hat aufgrund ihrer "Stimmenstärke" etwas verlockendes. Sie ist heute schon so oft die stärkste der Parteien.

Doch Nichtwähler sind nicht gleich Nichtwähler. Sie haben unterschiedliche und oft höchst divergierende Gründe für ihr Wahlverhalten. Und auch das Nichtwählen ist ein Wahlverhalten, nämlich aufgrund der persönlichen Befindlichkeiten und Umstände eben keine Partei, keinen Wahlwerber ausdrücklich zu wählen. Sie bevorzugen trotzdem regelmäßig auch bestimmte Parteien, Interessensverbände und Tendenzen und sind keinesfalls nur eine unpolitische oder auch nur desinteressierte Wählerschaft. Manchmal können sie sich nur nicht entscheiden, manchmal sind die Ergebnisse so klar in ihrem Interesse vorhersehbar, dass es ihnen nicht notwendig erscheint ihre Stimme abzugeben, oft konkurriert nur ein anderes berufliches, ökonomisches oder freizeitliches Angebot mit dem Wahltermin. Oft delegieren sie auch die Entscheidung an die anderen Wähler und rechnen und hoffen damit, dass sie auch für sie stellvertretend vernünftig wählen.  Die Nichtwähler als "Protestwähler" sind zwar durchaus auch eine Erfahrung, aber sehr wahrscheinlich sehr viel seltener als gemeinhin angenommen.

FreeBook der Rosa Luxemburg Stiftung. Die Beteiligung an Wahlen zu demokratisch-repräsentativen Parlamenten war in Deutschland in den zurückliegenden Wahlen erheblich niedriger als vor 40 Jahren. Oft riefen Kommentatoren am Wahlabend eine virtuelle «Partei der Nichtwähler» zur eigentlichen Wahlsiegerin aus. Eine sinkende Wahlbeteiligung wird vielfach als «Gefahr für die Demokratie» gewertet, auch als massenhafte Kritik an einem «undemokratischen Zustand der Demokratie», der «Demokratieverdrossenheit» hervorrufe; ebenso als Kritik am Zustand «der Parteien», an ihrer vermeintlichen Ununterscheidbarkeit oder als Ergebnis ihrer Lebens und Alltagsfremdheit. Alle diese Interpretationen unterstellen ein gemeinsames Motiv und eine gewisse Homogenität der Wahlenthalter. Zumindest verdichten, verkürzen sie auf eine Deutung, sodass diejenigen, die sich nicht beteiligt haben, gleichwohl zu einem nicht unbedeutenden Faktor in der politischen Debatte werden.

In der Tat: Wähler der Unionsparteien, der Linkspartei, der SPD, der Grünen, generell alle, die bei der nächsten Wahl nicht für dieselbe Partei stimmen und auch nicht zu einer anderen Partei wechseln, sondern zu Hause bleiben, eint womöglich ihre Enttäuschung über ihre zuvor bevorzugte Partei und die Abneigung,deshalb zu einer anderen Partei zuwechseln. Liegen dieser Entscheidung aber auch die gleichen Motive zugrunde, sind die Anlässe für die Enttäuschung identisch? Lässt sich also die Enttäuschung zum Beispiel über die Linkspartei mit der Enttäuschung über die Union, die sich aus bestimmten, aber sehr verschiedenen Erwartungen speisen kann, als«Parteienverdrossenheit» verallgemeinern,sodass im Sinne einer «Partei der Nichtwähler» von einem gemeinsamen Willen ausgegangen werden kann? Das ist mitnichten der Fall. So geben zum Beispiel auch Nichtwählerinnen und Nichtwähler in Befragungen an, bestimmte Parteien zu bevorzugen oder zuschwanken, ob sie zur Wahl gehen sollen oder nicht.

 Stadtluft macht frei.
Lohnt sich ein Download? Ein schneller Blick auf den Inhalt:

Horst Kahrs: Zur Einführung
Toralf Stark, Carsten Wegscheider, Elmar Brähler, Oliver Decker: Wahlurne ohne WählerInnen – eine Analyse der Ursachen für Nichtwahl in Deutschland
Dirk Jörke: (Nicht-)Wählen in der Postdemokratie
Friederike Bahl: Institutionenvertrauen und Wahlbeteiligung. Zur Leerstelle eines Erklärungszusammenhangs
Demokratie wähle ich kreuzweise. Eine Initiative der politischen Stiftungen
Verzeichnis der AutorInnen

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